erstritten vor dem Bundesverfassungsgericht am 3. Mai 1999
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Bundesverfassungsgericht
- Pressestelle - Pressemitteilung Nr. 58/99
vom 20. Mai 1999
Staatliche Prüfung für berufliche Qualifizierung muß ohne unnötige Verzögerungen abgenommen werden
Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat in einem Verfassungsbeschwerde (Vb)-Verfahren entschieden, daß dem Beschwerdeführer (Bf) eine Dauer von vier Jahren zur Abnahme der "Dolmetscherprüfung" nicht zugemutet werden konnte.
I.
Der Bf mußte vier Jahre auf einen Prüfungstermin nach dem "Hamburgischen Gesetz über die öffentliche Bestellung und allgemeine Vereidigung von Dolmetschern und Übersetzern" warten. Nachdem vor Abschluß eines deswegen eingeleiteten Gerichtsverfahrens die Prüfung angesetzt wurde, legte das Verwaltungsgericht (VG) dem Bf im Rahmen des Einstellungsbeschlusses die Kosten des Verfahrens auf. Dieser habe keinen Anspruch auf Durchführung des Prüfungsverfahrens zu einem bestimmten Termin gehabt. Die Behörde habe hinreichend dargelegt, sich um einen früheren Prüfungstermin bemüht zu haben; dies sei an Kapazitätsengpässen und der komplizierten Terminsabstimmung zwischen den beteiligten Prüfern gescheitert. Mehr als diese Bemühungen könne der Bf nicht verlangen. Hiergegen erhob der Bf Vb.
II.
Die 2. Kammer des Ersten Senats hat ihm recht gegeben. Der Beschluß des VG trägt der Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) für die Frage des Prüfungszeitraums nicht hinreichend Rechnung.
1. Art. 12 Abs. 1 GG stellt auch Anforderungen an das Prüfungsverfahren. Dieses muß so ausgestaltet sein, daß es binnen angemessener Zeit durchgeführt wird. Welcher Zeitraum insoweit angemessen ist, läßt sich nicht generell festlegen. Die Dauer wird vom Fachgebiet, von dem erforderlichen personellen, materiellen und organisatorischen Aufwand sowie von der Zahl der Examenskandidaten abhängen. Jedenfalls ist der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG bei der Gestaltung des Prüfungsverfahrens auch dadurch Rechnung zu tragen, daß die Wartezeit den einzelnen Prüfungsanwärter nicht unzumutbar belastet.
2. Gemessen hieran hat das VG Bedeutung und Tragweite des Art. 12 Abs. 1 GG verkannt. Liegen zwischen der Zulassung zur Prüfung und deren Durchführung wie hier mehr als vier Jahre, so wird der grundrechtlich verankerte Anspruch auf Ausübung eines Berufs mit der durch die Prüfung vermittelten zusätzlichen Qualifikation in unzumutbarer Weise verkürzt. Auch die Dauer des Prüfungsverfahrens bedarf einer hinreichend gewichtigen sachlichen Rechtfertigung. Die Verwaltung muß grundsätzlich dafür Sorge tragen, daß Prüfungen ohne unnötige Verzögerungen abgenommen werden können. Sie hat es in der Hand, das Prüfungsverfahren so auszugestalten, daß sie diese Anforderung mit den ihr zur Verfügung stehenden Kapazitäten erfüllen kann. Gelegentlich auftretende Engpässe können unvermeidbar sein und sind dann auch vom Kandidaten hinzunehmen. Gründe dafür, daß dem Bf vorliegend eine Prüfungsdauer von vier Jahren zugemutet werden konnte, sind nicht ersichtlich.
Beschluß vom 3. Mai 1999 - Az. 1 BvR 1315/97 -
Karlsruhe, den 20. Mai 1999
Vier Jahre Wartezeit bis zur Prüfung sind zu lang
ukn KARLSRUHE, 20. Mai. Ein Hamburger Dolmetscher, der vier Jahre lang auf seinen Prüfungstermin warten mußte, hat jetzt erfolgreich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe angerufen. Eine Kammer des Ersten Senats urteilte, daß eine derart lange Wartezeit gegen das Grundrecht der Berufsausübung verstößt, wenn die Behörde nicht besondere Gründe für die Verzögerung geltend machen kann. (AZ: 1 BvR 1315/97)
Der Mann war bereits 1993 zu einer Dolmetscherprüfung zugelassen worden, mit der er nach dem Hamburger Gesetz das Recht erwerben wollte, als Dolmetscher öffentlich bestellt zu werden. Absolventen solch einer Prüfung können etwa bei Gerichtsverfahren eingesetzt werden. Der Kandidat erhielt aber drei Jahre lang keinen Prüfungstermin. Die Behörde begründete dies mit organisatorischen und personellen Engpässen und "komplizierten Terminabstimmungen zwischen den beteiligten Prüfern". Als der Mann 1996 Klage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg erhob, erhielt er schließlich für Anfang 1997 einen Termin. Seine Klage war damit vor der Gerichtsentscheidung erledigt, das Verfahren wurde eingestellt.
Die Frage war aber nun, wer die Verfahrenskosten trägt. Das Verwaltungsgericht bürdete sie dem Kläger auf, weil er seine Klage voraussichtlich verloren hätte, meinten die Richter. Denn einen Anspruch auf einen bestimmten Prüfungstermin habe er nicht gehabt und die Behörde habe hinreichend dargelegt, daß sie sich um einen früheren Termin bemüht habe, hierin aber gescheitert sei. Mehr an Bemühungen könne der Prüfling nicht verlangen.
Doch, fand der Dolmetscher, und legte gegen die Auferlegung der Kosten Verfassungsbeschwerde ein. Eine aus drei Verfassungsrichtern bestehende Kammer des Ersten Senats gab ihm nun recht.
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Dokument erstellt am 20.05.1999 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 21.05.1999