(vgl. chronologische Zeittafel)
Einer Einladung des Herrn Schöck zufolge versammelten sich am 29. Juni 1897 die Freunde und Anhänger des Gabelsberger`schen Systems und schritten nach erfolgter Begrüßung zur Gründung des Vereins, zu dem sich nachfolgende Herren als Mitglieder unterschriftlich anmeldeten: Stotz, Hahn, Bloch, Lösch, Burkardt, Hugo Kraus, R. Dietz, H. Böhringer, O. Wirth, Möhle, Fladt, Schöck, Schultheis, Zipperle. Das Ergebnis der Wahlen war folgendes: 1. Vorstand Kollaborator Schöck, 2. Vorstand Oberpräzeptor Fladt, Schriftführer Lehrer Böhringer, Kassier Stadtschultheißenamts-Assistent O. Wirth.
So lautet das Protokoll über die Gründungsversammlung des "Gabelsberger Stenografenvereins Öhringen" vor jetzt hundert Jahren. Dieser Gründung war schon im Spätjahr 1896 eine Einladung des Präzeptors Christian Schöck zu einem Kurs in Gabelsbergerscher Stenografie vorausgegangen. Erst ein halbes Jahr vorher war Christian Schöck als Lehrer am Königlichen Lyceum nach Öhringen gekommen. Hier unterrichtete er in Latein und Deutsch, er war aber auch staatlich geprüfter Lehrer in Stenografie.
In Öhringen wurde bereits stenografiert, aber nach dem System Stolze. Christian Schöck aber war ein Gabelsbergeraner und davon überzeugt, daß dieses System unter vielen anderen das beste sei. Dieses bessere System wollte er in Öhringen einführen. Zehn junge Leute folgten Ende 1896 seiner Einladung zu einem ersten Stenokurs nach dem System Gabelsberger "in einem von der städtischen Behörde bereitwillig zur Verfügung gestellten Schullokal samt Heizung und Beleuchtung".
Am Ende dieses Kurses ist der "Gabelsberger Stenographenverein Öhringen" mit 14 Mitgliedern ins Leben getreten. Lehrer Böhringer spricht in seinem Protokoll von einem kleinen Häuflein und fügte an: "Was groß werden will, muß klein anheben!" Klein war man am Anfang deswegen, weil die Stolzesche Stenografie in Öhringen vorherrschte. Lehrer Böhringer, der Schriftführer des jungen Vereins, gab sich überzeugt: "Die Begeisterung für unsere Sache und das Bewußtsein von der Überlegenheit des Systems unseres Vaters Gabelsberger macht uns stark und läßt uns mit freudiger Hoffnung hinaus in die Zukunft schauen."
Die Feuerprobe
Zu solcher Hoffnung trugen drei Teilnehmer aus dem ersten Kurs nach dem System Gabelsberger bei. Schon wenige Tage nach der Gründung des Öhringer Vereins veranstaltete der Heilbronner Gabelsberger Verein ein Wettschreiben. Die drei Öhringer, die unter 135 geübten Stenografen als einzige Anfänger mitschrieben, kehrten mit fünf Auszeichnungen für Korrektschreiben und Schnellschreiben zurück. Der Öhringer Verein jubelte: "Wir haben unsere Feuerprobe bestanden." Für Emil Stotz, Sohn des Schullehrers Stotz, für Friedrich Bloch, Sohn des Kaufmanns Bloch, und für Wilhelm Hahn bei Kaufmann Schütz wurde eine Extrafeier abgehalten.
Die Freunde der Stenografie waren zu jener Zeit miteinander nicht gut Freund. Es gab etliche Systeme, und jedes System hatte seine Anhänger. In Öhringen wurde ein Kurs zur Erlernung der Faulmannschen Stenografie angeboten. Vom Stolzeschen Stenografenverein wird berichtet, daß er sein drittes Stiftungsfest mit dem Absingen der Stolze-Hymne einleitete. Weil von "gegnerischer Seite Angriffe auf das Gabelsberger System gekommen waren", hielt Präzeptor Schöck im Jünglingsverein zur Erwiderung einen Vortrag.
Aber bald zeichnete sich klar der Trend zum Gabelsberger Verein des Präzeptors Schöck ab. Professor Goppelt führte an der Gewerbeschule das System Gabelsberger ein. Der Verein erwog, auch Kurse für weibliche Teilnehmerinnen einzurichten und dachte dabei an die Schülerinnen der Töchterschule in der Karlsvorstadt. Sechs kleine Werkchen bildeten den Grundstock einer Bibliothek. Das Vereinslokal wurde bei Bierbrauer Pauli eröffnet und beschlossen, das Zimmer mit einer größeren Lampe zu beleuchten und das Öl aus der Vereinskasse zu bezahlen.
Zur Zahlung der Ölrechnung sah man sich durchaus in der Lage, denn das erste Geschäftsjahr 1897/1898 schloß mit einem Überschuß von 91,41 Mark ab. Der Kassier hatte sparsam gewirtschaftet: für Liederbücher 1,80 Mark, für einen Tafelschwamm 60 Pfennig, für das Reparieren der Tafel, Anstreichen und Linieren 3 Mark, 70 Pfennig für einen Kranz um das Bild Gabelsberger, für Porto 1,20 Mark.
Die Gabelsbergeraner befanden sich auf Erfolgskurs und machten immer mehr von sich reden. Im Jahr 1898 wurden 61 Lehr- und Übungsabende abgehalten, 44 Mitglieder registriert und die Hoffnung geäußert, daß sich weiterhin "opferwillige Jünglinge finden mögen, die sich der tüchtigen Leitung des Vorsitzenden Schöck willig unterziehen". Als ein sehr geeignetes Mittel zur Weiterbildung wurde das Mitschreiben von Reden bei öffentlichen Veranstaltungen und insbesondere der Sonntagspredigten gesehen. Der Kirchengemeinderat schien davon weniger gehalten zu haben. Denn das Ansinnen des Vereins, in einer Fensternische der Stiftskirche einen Klapptisch zum Mitschreiben anzubringen, lehnte er ab.
"Der Stenographenfeind"
Der Stenografenverein wollte, daß seine Mitglieder fleißig Steno lernten, ihm war aber auch viel an Geselligkeit gelegen. Unterhaltungsabende gehörten von Anfang an zu seinem Programm. Der erste fand 1899 im Reichert-Saal mit allgemeinen Gesängen, Klavierspiel und dem Theaterspiel "Der Stenographenfeind" statt. Solche Abende und auch Ausflüge, die bis in die jüngere Geschichte des Vereins immer wieder stattfanden, wurden als "die schönsten unter allen Vereinsfeiern" gerühmt. Gelegentlich mußte aber auch bedauert werden, "daß vor allem die älteren Mitglieder für die Pflege der Gemütlichkeit kein Bedürfnis zu haben scheinen."
Wer zu spät kommt ...
Mit dem Erscheinen haperte es aber auch sonst. Um die Jahrhundertwende hatte sich die Unart ausgebreitet, nicht pünktlich oder gar überhaupt nicht zu den Übungsabenden zu kommen. Deshalb wurde für verspätetes Erscheinen eine Strafe von fünf Pfennig und für ein ganzes Versäumnis von 10 Pfennig für die Unterstufe und das Doppelte für die Oberstufe eingeführt. Da der Zweck dennoch nicht erreicht wurde, versuchte man es anders herum: Jeder mußte eine Mark zahlen und erhielt für jede Teilnahme zehn Pfennig zurück.
Zur gleichen Zeit etwa, als die ersten Mädchen mit höchster Erlaubnis in das Progymnasium aufgenommen werden durften, erinnerte sich der Stenografenverein daran, daß er schon vor Jahren den Gedanken hatte, auch junge Damen in Steno zu unterweisen. Anno 1903 wurde ihnen eine solche Gelegenheit geboten und dazu geschrieben. "Die heutigen sozialen Verhältnisse nötigen vielfach die Mädchen, sich auf eigene Füße zu stellen und selbst für ihre Existenz zu sorgen. Als wichtiges Mittel zur Erwerbung einer selbständigen Stelle erweist sich für das weibliche Geschlecht die Stenografie, um sich auf eine der weiblichen Natur zusagenden Weise ein gutes Einkommen zu verschaffen."Hinter dieser Aussage darf der väterlich sorgende Christian Schöck vermutet werden.
In den ersten Jahren des "Gabelsberger Stenographenvereins Öhringen" gab es häufige Auseinandersetzungen mit den Verfechtern anderer Systeme. Spannungen bauten sich zwischen den Anhängern von Gabelsberger und Stolze-Schrey auf.
Je erfolgreicher die Gabelsbergeraner in Öhringen wurden, desto schärfere Formen nahmen die Attacken gegen sie an. Die Chronik spricht von einem Systemkampf. Mit Erleichterung wird daher in einem Protokoll aus dem Jahre 1903 vermerkt: "Mit Befriedigung wird konstatiert, daß der Verein Stolze-Schrey am hiesigen Platze eingegangen ist." Gabelsberger und Schöck hatten sich durchgesetzt.
Die erste Schreibmaschine
Weit über die Stadtgrenze hinaus, machte sich der Öhringer Stenografenverein schon früh einen Namen. Bei einem Wettschreiben in Crailsheim im Jahre 1905 holten Schüler des Progymnasiums von allen 39 Preisen 21 und zehn von den 14 ersten Preisen. Zu Steno kam jetzt Maschinenschreiben. Eine Schreibmaschine im Billardzimmer des Vereinslokals war so fleißig benutzt worden, "daß dieselbe zur Übung Beflissener wiederum aufgestellt wurde." Ein Jahr später stellte der Gewerbeverein Schreibmaschinen zur Verfügung, den Unterricht erteilte der Stenografenverein. Kurse, Wettschreiben und Unterhaltungsabende prägten die Arbeit des Vereins in den friedlichen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Zu den Spitzenstenografen mit 175 Silben zählte Ludwig Vogelmann aus Cappel. Mit einem goldenen Füllfederhalter kehrte er von einem Wettbewerb in Backnang zurück. 1912 heißt es: "Was die finanzielle Lage unseres Vereins betrifft, sind wir nicht gerade schlimm gestellt. Wir hatten Einnahmen von 298 Mark und Ausgaben von 107 Mark. Auf unseren Sparkonten stehen 305 Mark." Der Unterricht ging auch während der Kriegsjahre weiter. Die ins Feld ausmarschierten Mitglieder erhielten Liebesgabenpäckchen.
Eine üble Zeit
Es folgten so üble Tage, von denen man hoffte, daß sie für immer der Vergangenheit angehören. Was in Jahrzehnten auf sorgsamste Weise gespart und zu einem kleinen Vereinsvermögen angewachsen war, verschwand in der trüben Flut des Inflationsgeldes. Was an Vierteljahresbeiträgen eingegangen war, hatte oft nach einem Tag schon keinen Wert mehr. Als dann Ende 1923 die Reichsmark kam, fiel es schwer, mit den wenigen Mitgliedsbeiträgen die Bedürfnisse des Vereins zu befriedigen. Aber allmählich kam das Vereinsleben wieder in einen normalen Gang. "Fleiß und Freude zeigte sich wieder unter den jungen Leuten."
Von einem "Blitz aus heiterem Himmel" wurde die Jüngerschar Gabelsbergers am 20. September 1924 aufgescheucht. Was das Ziel jahrzehntelangen Strebens war, erfüllte sich an diesem Tag: Die Deutsche Einheitskurzschrift wurde eingeführt, dem Systemstreit ein Ende bereitet. Auch der Gabelsberger Verein in Öhringen mußte sich schweren Herzens umstellen und Liebgewordenes aufgeben. Schriftführer Karl Weckert protokollierte: "Die einheitliche Kurzschrift ist ein so hohes Gut, daß wir es im Interesse unseres deutschen Volkes annehmen wollten. Wir Gabelsbergeraner, die wir unser System auf dem Altar der Einheit geopfert haben, setzen in die neue Schrift Hoffnung, daß unser Verein mit ihr für alle Zukunft wachse, blühe und gedeihe." Er legte den Namen Gabelsberger ab.
Der Vorsitzende Christian Schöck machte sich sogleich an die Aufgabe, ein neues Lehrbuch der Einheitskurzschrift abzufassen, das sich in ganz Deutschland schnell verbreitete. Den Beamten und Angestellten des Finanzamtes erteilte er in einem Sonderkurs Unterricht in der neuen Schrift, die im wesentlichen Teil auf dem System Gabelsberger beruhte. Waren schon seine Lehrbücher nach dem System Gabelsberger in hundert Auflagen erschienen und von vielen Lehrern gerühmt worden, so zeichneten sich auch seine neuen Lehrbücher in der Einheitskurzschrift durch ihren klaren Aufbau aus. Viel Anklang fanden auch seine Hefte mit gemütvollen und heiteren Erzählungen.
Die schnellen Öhringer
Es störte die Arbeit der Öhringer Stenografen wenig, daß nach 1933 alle stenografischen Vereine in der Deutschen Stenografenschaft gleichgeschaltet wurden. Steno erlebte einen ungewöhnlichen Aufschwung. Allen Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst wurde es zur Pficht gemacht, Kurzschrift zu erlernen. Im Jahr 1934 nahmen an 36 Übungsabenden 587 Personen teil. Bei den IHK-Prüfungen zählten Öhringer Stenografen zu den schnellsten, Ernst Diem und Wilhelm Schwarz schrieben 180 Silben, Erika Maurer und Helmut Rau 200 Silben.
Solche Leistungen beantworteten die Frage, weshalb man Mitglied im Stenografenverein sein sollte. Wer einen Anfängerkurs besucht, kann danach vielleicht jedes Wort in Kurzschrift übertragen, schafft aber nur eine Geschwindigkeit von 40 bis 50 Silben. Das bedeutet nichts, urteilt Altmeister Christian Schöck. Will man sich zu Hause fortbilden, geht nach aller Erfahrung schnell die Lust verloren. So war alles umsonst. Das Fazit: Vorwärts kommt man nur gemeinsam im Verein, nur so wird man ein richtiger Stenograf. Zeugnis dafür legen hunderte von Preisen und Auszeichnungen ab, die Mitglieder des Vereins erworben haben.
In den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs ruhte die Vereinstätigkeit. Offiziell wurde sie erst 1950 wieder aufgenommen, aber schon Ende 1946 lief wieder ein Stenografiekurs an. Sechzig junge Leute meldeten sich. Wenige Wochen später war in der Zeitung zu lesen. "Das große Bedürfnis zur Erlernung der Kurzschrift hat Veranlassung gegeben, einen zweiten Kurs zu veranstalten. Doch kommen nur diejenigen in Frage, die Steno zur Berufsausbildung und Prüfung benötigen. Bedingung ist ferner, daß jeder Teilnehmer den Kurs bis zum Abschluß besucht."
Lob und Kritik
Mit dem Stenografenverein ging es von 1950 an "sichtbar aufwärts". Vorsitzender blieb Christian Schöck, inzwischen schon fast 85 Jahre alt. In der Jahresversammlung 1951 lobte er die strebsame Jugend, die zur beruflichen Leistungssteigerung an sich arbeite, kritisierte aber gleichzeitig Amtsvorstände und Betriebsleiter, daß sie solche Leistung nicht entsprechend würdigten. Stenografie gehöre zur Ausbildung in allen schreibenden Berufen. Beim ersten Landesstenografentag nach dem Kriege in Bad Cannstatt gab es für die Öhringer doppelte Freude. Alle neun Teilnehmer erzielten erste und zweite Preise - und Christian Schöck wurde überraschend zum Ehrenvorsitzenden des Landesverbandes ernannt. Zum 85. Geburtstag verlieh ihm sein Öhringer Verein die Ehrenmitgliedschaft. Karl Weckert zeichnete sein Lebensbild.
... und können getrost heiraten
Der Verein begann auch wieder mit der Pflege der Muse und Geselligkeit. Man fuhr zu den Götzspielen nach Jagsthausen, zur Oper nach Stuttgart, wanderte und gestaltete mit eigenen Kräften Unterhaltungsabende mit Gesang, Tanz und Laienspiel. Zu Beginn des Jahres 1954 erschien zur großen Freude die erste Ausgabe der "Öhringer Kurzschriftzeitung". Mit zehn neuen Schreibmaschinen, die über Gebühren finanziert werden mußten, wurde der vereinseigene Maschinenschreibunterricht aufgenommen. Beim Deutschen Stenografentag in Mainz schrieben Adolfine Herlitschka 220 und Anne Pawlik 200 Silben. Zur Spitzenklasse zählte auch Ingeborg Neumann mit 200 Silben und 356 Anschlägen im Maschinenschreiben.
In den Vereinsnachrichten hallte ein Ruf aus Verwaltung und Wirtschaft wider: Gute Stenotypistinnen dringend gesucht! Stümper gab es genug, die mit Steno und Maschinenschreiben forsch angefangen hatten, dann aber Fleiß und Geduld vermissen ließen. Wer die IHK-Prüfung bestehen wollte, mußte eine Zehn-Minuten-Ansage bei 150 Silben aufnehmen und mindestens 210 Anschläge leisten. Der Landkreis belohnte erfolgreiche Teilnehmer an Leistungsschreiben des Vereins mit Buchpreisen, weitere Betriebe folgten. Kommentar in den Vereinsnachrichten: Mädchen, die 200 Silben schreiben können, haben alle Chancen und können getrost heiraten ...
Eine Ära ging zu Ende
Ein Meilenstein wurde in der Geschichte unseres Vereins im Jahr 1954 gesetzt. Christian Schöck legte sein Amt nieder. Er war jetzt 88 Jahre alt. Für einen Moment hielt man den Atem an und spürte: Eine Ära geht zu Ende. Paul Feiler, der Zweite Vorsitzende, führte die Ge-schäfte bis zur Hauptversammlung 1955, in der Paul Feiler zum Ersten, Karl Weckert zum Zweiten Vorsitzenden und Christian Schöck zum Ehrenvorsitzenden gewählt wurden. Niemand ahnte, daß schon wenige Monate später der Verein von der Nachricht über den Tod Christian Schöcks erschüttert werden sollte. Im Nachruf klang die große Dankbarkeit mit, daß man eine solche Persönlichkeit so lange als Vorsitzenden hatte haben dürfen. Der Dank verewigte sich im Namen des Vereins, der sich fortan Stenografenverein Christian Schöck Öhringen 1897 nannte.
Der neue Erste Vorsitzende Paul Feiler übte schon lange Zeit Einfluß auf den Verein aus. Er war seit 1930 Lehrer an der Öhringer Volksschule, seit 1936 Lehrer in Kurzschrift und Maschinenschreiben und seit 1938 Unterrichtsleiter. Auch Karl Weckert, jetzt Zweiter Vorsitzender, gehörte als ein passionierter Stenograf, der schon im Progymnasium bei Schöck in die Stenoschule gegangen war, dem Verein seit 1924 an, schrieb 220 Silben, erteilte Unterricht und diente dem Verein nach dem Kriege als Geschäftsführer.
Der kluge Stenokopf
Was beim Abschied von Christian Schöck versprochen worden war, erfüllte die neue Vereinsspitze getreu. Aufgabe und Ziel bleibt, Leistungswillige zu fördern. Das sechzigjährige Bestehen war mit einem anspruchsvollen Leistungsschreiben in den Klassen 80 bis 240 Silben verbunden. Fast 120 Stenografen aus dem Verbandsgebiet nehmen daran teil. Adolfine Opitz war mit 240 Silben Spitze. Mit der gleichen Leistung wurde sie 1960 Preisträgerin beim Bundesleistungsschreiben in Göppingen. Die Stenografie befand sich auf Höhenflügen. Bei den Weltmeisterschaften 1961 wurden traumhafte 460 Silben geschrieben. Da tauchten in den Büros die Diktiergeräte auf. Die Diskussion setzte ein: Können diese Geräte die Stenografie verdrängen? Der Bundesvorsitzende wog Vorteile und Nachteile ab und kam zu dem Schluß: "Diktiergeräte gehören in das rationelle Büro, Steno wird aber unentbehrlich bleiben." Das Diktiergerät war auch noch Thema, als der Verein seine 80-Jahr-Feier veranstaltete. Karl Weckert bedauerte diese "moderne Fronarbeit", und Karlheinz Bunte, der Leiter der Kaufmännischen Berufsschule, trauerte dem "klugen Stenokopf" nach, der vom Diktiergerät verdrängt worden sei.
Unverdrossen setzte der Verein seine Arbeit fort. Steno und Maschinenschreiben blieben aktuell. Jedes Jahr gab der Verein seinen Mitgliedern Gelegenheit, bei einem Leistungsschreiben ihr Können zu beweisen. Die dabei erzielten Ergebnisse beflügelten. Bei den Kreismeisterschaften anläßlich des 75jährigen Bestehens wurde Edelgard Rath mit 180 Silben Kreismeisterin, beste Teilnehmerin im Maschinenschreiben Rose Burkhardt aus Dimbach mit 448 Anschlägen. Verbunden war diese Jubiläumsfeier mit Ehrungen für den Vorsitzenden Paul Feiler, für Helmut Rau, der seit 1958 Zweiter Vorsitzender und Kassier war, sowie für Adolfine Opitz, Meisterin in Steno und Kursleiterin im Maschinenschreiben.
Ins zweite Jahrhundert
Im Jahr 1975 starb Paul Feiler. Zwanzig Jahre stand er an der Spitze des Stenografenvereins und führte ihn zu immer neuen Erfolgen im Bestreben, die beruflichen Chancen junger Menschen zu erhöhen. Nachfolgerin im Vereinsvorsitz wurde Adolfine Opitz, bis dahin schon eine Führungskraft im Verein, Stenografin aus Leib und Seele, die sich schon mit zehn Jahren für Stenografie begeisterte und 240 Silben schaffte. Maschinenschreiben ging einher. In ihre Zeit als Erste Vorsitzende fiel die Einrichtung eines vereinseigenen Schreibma-schinensaals in der Schillerschule, der Einsatz elektronischer Typen-radmaschinen und der Beginn desUnterrichts am Personalcomputer. Bei der 90-Jahr-Feier 1987 ging es noch allein um Steno und Maschinenschreiben. Sechzig Wettschreiber machten mit. Aber der Bildschirm am Schreibtisch tauchte schon im Blickfeld auf. Der erste PC-Kurs mit Textverarbeitung fand 1990 bei Bürotechnik Geiger mit sechs Teilnehmern statt. Zwei Jahre später räumte der Verein wegen der Musikschule seinen Stammsitz in der Schillerschule und siedelte in die Weygangschule um. Ein bißchen wehmütig war man schon, aber es gab einen guten Trost: In der Weygangschule durfte der Verein die 16 Computer nutzen.
Die mit der Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnete Adolfine Opitz gab 1993 ihren Vorsitz ab. Mit Uwe Wirkner trat eine neue Generation vor. Als ein Opitz-Schüler der Realschule gehörte er dem Verein seit 1979 an, leitete schon ein Jahr später den Unterricht in Maschinenschreiben, wurde in den Vorstand gewählt und legte die Lehrerprüfung in Maschinenschreiben und Steno ab. Vereinsarbeit lernte er auch als Schriftführer in der Bundesjugendleitung kennen.
Im Blick nach vorn vergaß der Verein nicht die Rückschau auf bedeutende Ereignisse der Vereinsgeschichte. Der Erinnerung an die ersten Maschinenschreibkurse war eine Ausstellung historischer Schreibmaschinen gewidmet. Zu einem fröhlichen Beisammensein fanden sich die früheren Kursteilnehmer des ersten Maschinenschreibkurses in dankbarer Freude darüber ein, daß sie damals Nützliches lernen konnten, aber auch deswegen, weil ihnen dieses gesellige, familiäre Leben im Verein Lebensgefühl vermittelt hatte.
Vom Stenoblock zum Internet
Im Wissen, daß früher anfangen muß, wer Steno oder Maschinenschreiben lernen will, wandte sich der Verein immer wieder an Kinder. Beim Kinderferienprogramm der Stadt Öhringen lud er Kinder ein, Steno zu schnuppern, und durfte sehen, wie froh und erstaunt die Kinder waren, daß sie plötzlich Worte stenografieren konnten. Zum Maschinenschreiben drängte es die Kinder mehr. Sechzig Schülerinnen und Schüler meldeten sich zum ersten Anfängerkurs. Leider fehlte es an ausreichend Übungsleitern. Im Computerzeitalter gilt nicht mehr "Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen". Es ist umgekehrt. Wenn die Jungen in der Computersprache reden, kommen die Alten nicht mehr mit. Und was macht in einem solchen "Generationenkonflikt" der hundertjährige Stenografenverein Öhringen? Er lädt die Senioren zu einem Computerkurs ein, damit sie mitreden können, wenn sich ihre Enkel unterhalten. 79 Jahre zählte die älteste Teilnehmerin, 59 der jüngste.
Im zweiten Jahrhundert des Stenografenvereins Christian Schöck Öhringen bestimmen spitzer Bleistift und Stenoblock nicht mehr die Arbeit des Vereins. Steno bewegt nur noch wenige und ist zu einer elitären Sache geworden. Die Unterrichtsmittel des Öhringer Stenografenvereins sind meist andere. Er hat sich zu einem Verein gewandelt, der "Word für Windows" lehrt, im Schriftverkehr am PC unterrichtet und zum "Surfen im Internet" einlädt.
Aber seine Aufgabe ist die gleiche wie vor hundert Jahren. Die beflügelte Feder als Symbol der Stenografen hat ihren Sinn behalten. Sie bleibt das Zeichen für beflügelten Geist. So wird sich auch der Name "Stenografenverein" erhalten, denn damit nahm alles seinen Anfang.
Reinhard Weber