Tod eines Motorradfahrers
(wird höchstwahrscheinlich Fragment bleiben)

Sachverstand2 @ Geocities.com

Oktober 1996

1.

Ich will Ihnen heute eine merkwürdige Geschichte erzählen, die mir selbst passiert ist. Sie mag ja in manchen Bereichen etwas unrealistisch klingen, aber ich habe nun einmal zufällig dieses Gedächtnis für gesprochene Worte und Sätze, so daß ich die Verantwortung dafür übernehmen kann, daß die Worte zum Großteil so gefallen sind, wie ich sie wiedergebe. Für das, was Sie an Gestik, Mimik, sexistischen, rassistischen und soziopathischen Untertönen hineininterpretieren, kann ich natürlich nichts und lehne aus diesem Grund auch jede Verantwortung dafür ab.

Na jedenfalls war es einer dieser typischen Tage im Norden der Republik, wo die Sonne nicht durchkommt und die Wolken sich bei dem feuchtkaltem Wind nicht entscheiden können, ob sie denn nun regnen sollen oder nicht. Die Folge davon ist, daß es tagsüber immer dämmrig bleibt und nach Regen aussieht; und Sie können mir glauben, daß das den Zugereisten ganz schön aufs Gemüt schlägt.

Ich war also mit dem besten und schönsten Motorrad der Welt, meiner SUZUKI GS 400, auf dem Weg zu meiner Freundin, die 4 Querstraßen weiter wohnte. Es war der 05. Oktober 1996, und durch nichts kündigte sich an, daß dies ein schicksalsschwerer Tag werden würde. Für mich jedenfalls, für die anderen ist ja, soweit ich das beurteilen kann, tatsächlich nichts Besonderes passiert.

Ich war zu diesem Zeitpunkt im dritten Jahr arbeitslos, ein Zustand, der seit dem Auslaufen meines befristeten Vertrages im Institut für Werkstoffkunde wg. Drittmittelmangel nur von einem wenig erfolgreichen halben Jahr im congress office der Ingenieurkammer Niedersachsen unterbrochen worden war. Im ersten Jahr hatte ich schriftlich niedergelegt, was ich über mein Motorrad wußte, aber für die Kladde im Commodore-Diskettenformat mit handgemalten Zeichnungen keinen Verleger gefunden. Das zweite verbrachte ich in einer sehr schönen Beziehung, und im dritten begann ich richtig unzufrieden zu werden und begann zu überlegen, wie man Jobsuche, Haushaltsführung und Arbeit im allgemeinen anständig, d.h. effektiv organisiert.

Meine damalige Freundin erwies sich hierbei als sehr hilfreich, denn sie hatte schon immer gearbeitet und konnte deshalb gut erzählen, mit welchem Verhalten und mit welcher Grundeinstellung man Arbeit bekommt und behält.

Ich war guter Laune, denn ich freute mich auf sie. Ich freute mich auch darüber, wie gut ich aussah, daß ich Managerhaar hatte, das mal an den Schläfen auf äußerst ansehnliche Weise grau werden würde, daß meine Suzi fantastisch lief, daß in meiner WG, soweit absehbar, alles in Ordnung war und daß es nicht regnete, sondern wie gesagt nur danach aussah.

Und dann bog an der Kreuzung Hildesheimer/ Ecke Geibelstraße dieser Idiot mit seinem umweltfreundlichen 2-Liter-Blechhaufen-Kombi vor meiner Nase links ab. Ich fuhr tagsüber immer mit Fernlicht: zum einen, damit ich gesehen werde, und zum anderen, um den Abblendglühfaden zu schonen. Und wenn mir einer entgegenkam und kurz aufblendete, freute ich mich auch und dachte: wieder einer, der dich gesehen hat! Und: Spiel dich nicht so auf, fahr lieber imer so, als säße auf allen Krädern deine Tochter, dann vermeidest du bereits viele Fehler. Schließlich töten Motorradfahrer nicht, sondern werden getötet.

Tja. Also mein Vorderrad dran etwa einen Meter in seinen Bug ein, und ich bin wahrscheinlich mit dem Kopf gegen den A-Holm geflogen und habe mir dabei das Genick gebrochen. Es war ein blauer Opel Kombi, und der Fahrer trug zu meinem Erstaunen keinen Hut.

Ich flog noch ein Weilchen, bis ich zum Stehen kam, und drehte mich langsam um. Die Suzi war zur Seite gerutscht, und auf halber Strecke zwischen mir und ihr lag ein lederbekleideter schwarzer Klumpen herum. Der Opelfahrer tat, was alle Autofahrer in so einem Fall tun: er stieg aus und inspizierte die Schäden an seinem Wagen. Der war etwa fünf Jahre alt, und wenn der Rahmen verzogen war, war's ein wirtschaftlicher Totalschaden.

Ich schwebte etwas näher und ging dabei auf drei Meter über Grund herunter. Die Straße war etwas bevölkerter als vor dem Unfall: Rentner standen und glotzten, Studenten fuhren auf ihren Rädern vorbei, und Hausfrauen bildeten in angemessener Entfernung vom Unfallort Pulks und begannen, miteinander zu schnattern. Der Opelfahrer hatte währenddessen die Inspektion seines Totalschadens beendet, versetzte der herumliegenden Suzi noch einen Tritt (nur in die Sitzbank, wo es ihr nicht wehtat; ich seufzte: NICHTS machen Autofahrer an Motorrädern richtig, nichtmal richtig beschädigen können sie sie) und begann mit den umstehenden Rent­ nern laut und erregt die Schuldfrage zu diskutieren.

Währenddessen hatte ein alter rostiger Golf angehalten, machte die Warnblinker an, und der Fahrer stieg aus und begutachtete den lederbekleideten Klumpen. Als er ihn herumdrehte, fiel mir auf, daß der ja meine Stiefel anhatte. Der Helm, der nun samt Inhalt zur Hälfte im Brustkorb verschwunden war, sah meinem ebenfalls ähnlich. Ich machte meinen ab und ließ ihn fallen; dabei nahm ich wahr, daß er mir ungewöhnlich leicht erschien. (Normalerweise laß ich keine Helme herunterfallen; aber hier lag ein verletzter Motorradfahrer herum, und der hatte Priorität.)

Der Golffahrer klappte das Visier auf und blickte ein paar Sekunden hinein. Dann klappte er es wieder ordentlich zu, drehte sich zur Seite und verbarg sein Gesicht in der Armbeuge. Ich wollte wissen, was denn da so Schreckliches zu sehen war, und schwebte noch näher. Ich erkannte meine Jacke, meine Hose und meine Handschuhe; aber erst als ich neben dem Toten stand, wurde mir klar, was hier gespielt wurde.

Das war ich! Ich lag hier, mit zermatschter Birne, an einem Ort, wo ich nicht hingehörte, in einem Zustand, der mich empörte, und mit einem Golffahrer als Totenwache! Innerhalb eines Augenblicks aus dem Leben gerissen, jeglicher Möglichkeit beraubt, meine Fähigkeiten weiterhin zu erproben und zu verbessern!

Ich fing an herumzubrüllen: 'Ich bin dagegen! Das kann doch nicht wahr sein! Ich will noch nicht tot sein! Wer macht denn so'n Quatsch!' Ich war ganz schön laut, weil ganz schön wütend. Der Golffahrer guckte nicht hoch.

Ich fiel wie in Watte.

2.

Ich klappte meine Augen wieder auf und war immer noch wütend. Um uns drei (meine Leiche, den Golffahrer und mich) hatte sich eine Traube aus Leuten gebildet, die sich mit ihren Trenchcoats und Anzügen und merkwürdig grauen, fahlen Gesichtern schweigend und gaffend über mich beugten.

Will mir keiner beim Aufstehen helfen', blaffte ich und guckte wütend. Zwei Sekunden verstrichen, während derer die Hälfte der Gesichter den Ausdruck offener Häme annahm. 'Dann eben nicht', murmelte ich brummig und sprang auf meine Füße.

Die Szene hatte sich geändert. Etwa die Hälfte der Leute auf den Gehsteigen blickte zu mir herüber, die andere verhielt sich normal. Es war ausgerechnet die häßlichere Hälfte, die hersah: alles graue, fahle Gesichter mit dunklen Augen, ohne Mimik und schweigend. 'Blödmänner!' fauchte ich sie an. Das löste die Erstarrung, und mit gelegentlichen Anzeichen von Schadenfreude kamen sie auf mich zu.

Ein Polizeiauto und fast zeitgleich ein Rettungswagen hielten mit Blaulicht und Martinshorn. Ich wurde starr vor Schreck, denn ich konnte deren Scheinwerfer durch die Leute um mich herum SEHEN! Die Insassen stiegen aus und gingen durch die Menge zu dem toten Motorradfahrer hin. Ich meine, sie gingen durch die Leute, die ihnen nicht ganz ausweichen konnten, hindurch: als ob sie sie nicht sähen oder hörten, wie Geister, die Materie durchwehen. Die Polizisten und die Sanitäter waren aber im Gegensatz zu den Grau­ gesichtern undurchsichtig.

Ich begann etwas zu begreifen, langte nochmal mit der rechten Hand durch den Golffahrer (was ihn zwar aus seiner Starre holte, aber er guckte nicht mich, sondern die Polizisten an) und schlug anschließend eins der Graugesichter mit der Faust vors Brustbein. Er sagte 'Uff' und taumelte gegen das Graugesicht hinter ihm. Anschließend fing er sich und guckte böse.

'Kann mir mal jemand erklären, was hier vorgeht?' rief ich. Durch die Leute sah ich den einen Sanitäter sich über mich beugen und den Kopf schütteln. Dann sagte er etwas zu dem anderen, jüngeren, und ging zurück zum Rettungswagen. Er hopste auf den Fahrersitz, guckte, seufzte, kletterte wieder heraus und führte seinen Kollegen ('Zuvieldienstleistender vermutlich', dachte ich), leise und beruhigend redend, am Arm zur Beifahrertür, lud ihn ein, sprach kurz ins Funkgerät und fuhr davon.

'Na wenn du's bis jetzt noch nicht gemerkt hast', sagte eines der Graugesichter (ohne daß die Polizisten hochguckten) und lachte meckernd und affektiert mit einer hellen, blasierten, äußerst unsympathischen Stimme.

'Platz da', dröhnte hinter mir eine Altstimme mit ungewöhnlichem Timbre. Ich fuhr herum. Die grauen Gestalten zuckten zusammen und öffneten ihren Kreis.

Die Frau war ungefähr so groß wie ich, trug einen weißen Integralhelm und eine weiße Lederjacke mit unglaublich gepolsterten Schultern. Weiße Lederhose, weiße Stiefel. Sie war mir auf Anhieb sympathisch, auch wenn sie sich etwas hastig bewegte; es kam mir vor, als ginge ein Leuchten von ihr aus. Sie winkte mir und zeigte auf die weißgepolsterte Sitzbank neben sich.

'Äh - meinst Du mich?' Etwas Gescheiteres fiel mir nicht ein.

'Nun komm schon, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.'

'Du - Du meinst, du willst mich mitnehmen? Wohin denn? Und überhaupt: Ich mag jetzt nicht hier weg. Ich bin nämlich gerade - äh - auch wenn's albern klingt - gestorben, weißt du - und...'

'Ja, ich weiß. Darum bin ich ja auch hier. Ich soll dich abholen.'

'Äh -'

'Nun komm schon.'

Der suggestiven Kraft ihrer Worte konnte ich nicht widerstehen; es war ein Singen darin, als ob jemand mit einem Geigenbogen auf einem steifgefrorenen Dackelschwanz herumkratzt. Mir lief es heiß und kalt den Rücken herunter. Ich wankte auf sie zu.

Sie drehte sich um und schwang sich auf ihr Gefährt. 'Beweg dich, ich hab heute noch was anderes zu tun.'

'Jaja - es ist nur - ich hab so'n Gefährt...'

So ein Gefährt hatte ich noch nie gesehen. Es ähnelte entfernt einem Motorrad. Aber es hatte keinen Motor, keine Räder und keinen Tank. Nein, es bestand eigentlich nur aus Sitzbank und Lenker. Nicht mal ein Scheinwerfer. Es schwebte etwa einen Meter über der Straße, und als sie sich draufsetzte, sank es etwas ein.

'Aufsteigen und Füße hoch', brummelte sie, zog die Kupplung und ließ den 'Motor' an, der mit einem sirrenden Geräusch, einer Mischung aus hochdrehender Turbine und Strahldüse, die Arbeit auf nahm. Ich schwang mich hintendrauf und legte meine Hände auf ihre Hüften. 'Festhalten', hieß es.

'Äh - ich hab keinen Helm', versuchte ich zu widersprechen; so ganz fix mochte ich mich nicht von meiner sterblichen Hülle trennen. Die Polizisten winkten gerade einen großen schwarzen Kombi durch die Absperrung.

'Den wirst du auch nicht mehr brauchen', säuselte die Schöne charmant, aber bestimmt, und dann flogen wir los.

3.

Die Graugesichter sprangen bestürzt zur Seite ('Na endlich mal eine Gemütsregung', dachte ich laut), und der Schlitten zischte aufwärts, verfehlte die Ampel an der Kreuzung, wo der Opelfahrer gestikulierend seine Schilderung des Unfallhergangs zwei mäßig interessierten Grün-Weißen dartat, und bohrte sich, immer noch beschleunigend, in den dämmerigen Nebel. Ich saß bequem hinten drauf, ließ die Beine baumeln und blickte mich gerade noch rechtzeitig um. Zwei Schwarzgekleidete hoben die Reste meiner irdischen Hülle gerade in eine Zinkwanne, und viele graue Gesichter blickten uns nach. Schließlich verschwanden die Umrisse der Südstadt im Dunst. Ich dachte an meine Freundin und wer ihr das sagen sollte - das mit meinem Tod, meine ich -, und ich überlegte, ob ich meine Pilotin noch zu einer Extrarunde über dem Haus, in dem ich die letzten acht Jahre gewohnt hatte, überreden solle.

Aber die drückte mächtig auf die Tube. Sie hatte es wohl eilig.

'Können wir noch eine Extrarunde über meinem Haus drehen?' Ich brüllte, um den Fahrtwind zu übertönen.

'Du brauchst nicht zu schreien, ich versteh dich ganz gut', knurrte sie mit ihrer Altstimme. Sie war wohl leicht angenervt; das Kribbeln an meinem Rücken war so intensiv, daß es schon fast unangenehm war, und ihre Stimme schien von überall her zu kommen. Vor Schreck ließ ich fast los, erschrak gleich nochmal und hielt mich nun etwas stärker fest.

Sie hatte aber auch recht. Wir sausten mit mindestens hundert Sachen durch diese Suppe, aber der Fahrtwind zerrte und wirbelte nicht, die vielen kleinen Nebeltröpfchen schlugen sich nicht auf Knien und Händen nieder, und man konnte tatsächlich fast in Zimmerlautstärke miteinander reden. Nur der Motor sirrte fauchend vor sich hin.

'Also, was ist nun.' Ich kann es nicht leiden, wenn ich auf eine Frage keine Antwort kriege.

'Ich hab keine Zeit. Normalerweise gerne, aber ich muß gleich weiter, wenn ich dich abgeliefert habe. In 10 Minuten wird sich bei Eldagsen jemand um einen Baum wickeln, und die schreien ganz gut herum, wenn niemand da ist, der sich um sie kümmert.'

'Woher weißt du das?'

'Ich weiß es halt.'

Hier ertappte ich mich bei der Vermutung, daß den Geschehnissen auf der Erde vielleicht doch nicht ausschließlich das Übelwollen eines alles durchwirkenden Geistes aus Bosheit, Falschheit, Neid und Gier, sondern auch Pannen in der Verwaltung der Schöpfung zugrunde lagen. Diese Arbeitshaltung des ruhigen Genusses, der sich zu Zeiten, schlecht vorhersehbar, in Zeitdruck verwandeln kann, war mir nicht völlig fremd.

Ob es mir gelingen würde, diese Schnitte näher kennenzulernen?

'Was für eine Sorte Schlitten ist das hier eigentlich?'

'Ein Aeroped.'

Ich biß mich auf die Zunge. Natürlich, das hätte ich mir denken können. Außerdem war mir eigentlich scheißegal, wie es hieß, ich wollte weit eher wissen, wie es funktionierte. Aber ich hatte zu viele schlechte Erfahrungen damit gemacht, Frauen nach der Technik ihres Fahzeugs zu befragen. Sie wissen meist nichts von Belang darüber, reagieren aber nicht mit Beschämung und dem Wunsch zur Besserung, sondern als hätte man sie für blöd erklärt.

Außerdem klang sie so, als mißbilligte sie die Frage. Und als hätte sie sie erwartet.

Ich beschloß also, den Geprächsversuch abzubrechen und statt dem lieber nach einem Plätzchen zum Hökern Ausschau zu halten - auch wenn das in der Suppe, die uns umgab, wenig Sinn hatte. Ein wenig technische Großmannssucht wollte ich aber statt dessen her­ aushängen lassen und holte Luft, um 'Aha' zu sagen.

'Es wird durch einen fahrtwindgekühlten Nektarreaktor mit doppel­ ter Bifurkation angetrieben und gibt seine thermoemotionale Energie über einen hypersensitivierten Jetpack ab.'

Die Kühlheit ihrer Ausführung schnitt wie ein eisiges Messer in meinen Rücken, und ich wäre beinahe wieder heruntergefallen. Ich fing mich aber, merkte dabei, daß man von diesem Gerät genausowenig herunterfallen konnte wie von einem richtigen Motorrad, und kramte meine Gedanken neu zusammen.

Sollte ich nett sein und sagen: 'Ich wollte gerade angeben und 'Aha' sagen.'? Oder garstig: 'Ein Bekannter von mir kann ein vogonisches Gedicht fehlerfrei aufsagen.'? Oder so tun, als ob ich ihren Sachverstand bewunderte?

Ich erwog die letzte Version am längsten, blieb aber schließlich ehrlich: 'Das sagt mir zwar alles nichts, aber es macht trotzdem Spaß mit dir.'

Sie antwortete nicht. Ich betrachtete ihren Jackenkragen und die Aufpolsterungen an den Schultern, guckte in der Gegend herum, hielt versuchsweise eine Hand in den Fahrtwind und beschloß, die Pilotin gut zu finden und die Fahrt zu genießen. Die Härchen an meiner Wirbelsäule stellten sich senkrecht, und ich ließ mich von wohligem Schaudern schütteln.

In diesem Moment durchbrachen wir die Wolkendecke, und ich mußte geblendet die Augen schließen.

4.

Das Motorengeräusch veränderte sich, ein tiefer Brummton ertönte. Das Heck brach aus, und eine halbe Schraube und einen ganzen Salto später setzten wir weich auf der Wolkendecke auf. Die Sonne stand schon tief; ich beschattete meine Augen mit der Hand und wollte fragen, wo wir denn wären. Das verbiß ich mir jedoch.

'Wir sind da', bemerkte der weiße Engel.

Mir fiel ein, daß ich im Leben nie von sowas geträumt haben würde. Ich konnte ganz gut damit leben, daß die Welt nun mal war, wie sie war, daß man sich nach jedem bißchen Glück strecken mußte, und daß mit dem Tod nun mal alles vorbei war. (Daher auch meine Aufregung nach dem tödlichen Unfall.) Zwar fühlte ich mich wohler, wenn meine Handlungen so gut waren wie es eben ging, hatte aber auch gelernt, daß Fehler zum Menschsein dazugehören und daß es demzufolge auch immer Menschen geben mußte, die in meinen Augen Fehler machten. Völker massakrieren. Giftgas und Atombomben erfinden. Scheiße als Gold verkaufen. Lügen, betrügen und penetrant sein. Motorradfahrer plattfahren.

Einmal mußte ich einem Pastor zubilligen, daß es leichter ist, sich zum eigenen Nachteil (?) korrekt zu verhalten, wenn man an einen Obersten Richter glaubt, der alles sieht, alles durchschaut und alles Strafwürdige strafen kann. Leider sind, auch und gerade im Namen dieses Obersten Richters, dermaßen viele Greueltaten verübt worden, daß ich einer theologischen Legitimation, womöglich noch hergelitten aus einem unordentlichen Buch mit ca. 40.000 Textvarianten, auch dann nicht nachgeben kann, wenn das, was ich für meinen gesunden Menschenverstand halte, zum selben Ergebnis kommt.

Aber daß dieser Oberste Richter irgendwann mal einen Motorradengel schicken würde, der mich hierher brachte... nein, das fand ich nicht besonders logisch. Ehrlich gesagt, es widersprach den kläglichen Resten meiner Religiosität empfindlich. Es war unentschuldbar.

Die Stimme kratzte wieder an meinem Rücken. 'Ich muß dich jetzt runterwerfen, ich hab heute nämlich noch was vor.'

Ich seufzte. Lange genug, daß sie es merkte, und kurz genug, daß sie sich nicht unnötig aufgehalten fühlte. 'Haben hier alle solche Stimmen wie du?' fragte ich im Herunterspringen.

'Geh da hinein und finde es heraus.' Ihr behandschuhter Zeigefin­ ger wies auf eine schlichte resopalbeschichtete weiße Tür, die mutterseelenallein auf der Wolkendecke herumstand.

Ich war baff. Wieso stand hier eine Tür herum? Die ganze Geschichte wurde immer undurchsichtiger.

Der emotionsgeladene Bifurkationsmotor (oder wie auch immer) heulte kurz auf, dann war sie weg. 'Ich würd dich gerne wiedersehen', brüllte ich noch und staunte, wie dünn mein Stimmchen hier oben klang. Ob sie es gehört hatte? Ein paar Sekunden hielt sie auf die Sonne zu, bis sie schließlich rechtsherum abkippte und das milchige Weiß sie, ihr Gefährt und schließlich auch das sirrende Fauchen verschluckte.

Ich war allein. Die Sonne wärmte ein wenig. Mir war nicht kalt. Ich stand zum ersten Mal in meinem Leben auf einer Wolkendecke, die sich bis zum Horizont erstreckte. Ich dachte: 'Wie merkwürdig. Eigentlich sollten Wolken dich ja gar nicht tragen können.' Also müßte ich wie ein Stein zur Erde herunterfallen und dort zerschellen. Panik ergiff mein Herz.

Ich stand... und stand... und stand immer noch. Die Wolkendecke trug. Ich guckte sie mir an: hauchzarte Schwaden, zerfledderter Winteratem, stillstehend. Ich probierte einen Schritt vorwärts. Der Boden gab ein wenig nach, federte, aber trug. Ich hüpfte und sprang: Wie ein Trampolin. Ich überlegte, ob ich einen Salto ausprobieren sollte, ließ es dann aber sein; schließlich wollte ich mir nicht den Hals brechen.

Dann fiel mir ein, warum ich hier war. Nein, ganz sicher wollte ich meinen Hals nicht zweimal am selben Tag brechen.

Ich federte auf die Tür zu. Als ich die Klinke schon in der Hand hatte, faßte ich aus alter Gewohnheit nach meinen Wohnungsschlüsseln. Sie waren weg.

Ich wurde schon wieder wütend. Wie konnte das passieren, daß ich sie verloren hatte? Beim Sturz vielleicht? Aber nein, der Reißverschluß war zu. Bei der Brieftasche in der anderen Tasche: dasselbe Spiel. Auch kein Feuerzeug in der Hosentasche. Mir fiel etwas Schreckliches ein.

Zwei Sekunden später wußte ich, daß auch meine Zigaretten weg waren.

5.

Mist. Mist. Mist.

Ich mag ohne Zigaretten nicht leben. Erstens bin ich körperlich abhängig, und zweitens kommt man auf der Suche nach Nachschub oder Feuer leichter ins Gespräch. Und drittens finde ich es einfach beruhigend, wenn ich sie dabei habe und mir um den nächsten Schmachtausbruch keine Sorgen machen brauche.

Mist.

Wenn wenigstens mein Geld noch da wär, damit ich mir neue kaufen kann.

Oder gibt's im Himmel keine Kioske?

Ich mußte lachen. Wahrscheinlich nicht. Aber womit vertreiben die sich dann den ganzen Tag die Zeit?

Es gibt nur eine Masche, das rauszufinden, dachte ich: durch diese Tür da gehen.

Vorher spazierte ich einmal um die Tür herum. Sie sah von beiden Seiten gleich aus, allerdings spiegelverkehrt: die Klinke saß auf der Rückseite an der anderen Seite. Ich versuchte, sie zu drücken und gleichzeitig zu sehen, ob sich die Klinke auf der anderen Seite auch bewegte. Aber obwohl der Türrahmen nur aus einem weißgestrichenen Kantholz 8x8 bestand, war es mir nicht möglich, die eine Klinke zu betätigen und gleichzeitig die andere zu sehen.

Das fand ich sehr merkwürdig. Ich fand es auch sehr interessant, weil ich zum ersten Mal ein esoterisches Phänomen sah. Und nicht bloß sah, sondern sogar anfassen konnte. Und ich bedauerte dop­ pelt, alleine zu sein; ohne Zeugen würde mir niemand diese Geschichte glauben.

Dann eben nicht, dachte ich, klopfte zweimal, zog die Tür auf und latschte selbstbewußt hinein.

In dem Raum war es finster. Ich blieb auf der Schwelle stehen.

Die Tür machte einen lautlosen Satz nach hinten und fiel zu. Ich stand im Dunkeln. 'Was für eine vertrackte Tür', dachte ich. Ich drehte mich um und versuchte, sie wieder aufzustoßen, aber sie war ins Schloß gefallen.

Irgendetwas sagte leise Klick.

Irgendein kleiner Motor lief leise surrend hoch. Oder wurde hier ein Kondensator geladen, der sich gleich in einem blendenden Blitz entladen würde?

Mit hallendem leisem Tong! Tong! nahmen zwei Reihen Neonröhren an der Decke ihre Arbeit auf. Ich wandte erneut geblendet mein Gesicht ab. Der kleine Motor entpuppte sich als Festplattenmotor und beendete seinen Hochlauf durch das Herunterkratzen der Partitionsinformationen. Der Rechner piepte entzückt, als er ein funktionsfähiges Betriebssystem auf der Platte vorfand.

Ich machte die Augen wieder auf.

Gegenüber an der Wand war ein Annäherungsschalter befestigt. Meine Bewegungen hatten anscheinend die Beleuchtung und den Rechner angeschaltet.

Der Monitor stand auf einem Schreibtisch, der genau wie der ganze Raum freundlich hellgrau angestrichen war. Links ruhte die dicke Betonplatte auf einem massiven Betonbein, rechts war sie in der Wand festgemacht. Die Geräusche der Festplatte kamen aus dem Schreibtisch; der Rechner war also entweder in die Platte oder in das Bein eingebaut. Über dem Schreibtisch stand in großen, freundlichen Buchstaben ANMELDUNG an einer hinterleuchteten Tafel. Hinter dem Rechner war je eine Tür in der Quer- und in der Längswand.

Sonst war nichts in dem Raum.

Die Festplatte krächzte. Eine Frauenstimme drang aus dem Tisch: 'Die Betriebssystemerweiterung COELUM 2.0 wird geladen. Bitte gedulden Sie sich einen Augenblick.'

Es war eine kläglich dünne Computerstimme. Sie hatte nichts, aber auch gar nichts Aufregendes an sich.

Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines alten Mannes mit Rauschebart. Eine dünne alte Computerstimme sagte: 'Guten Tag. Willkommen in der Anmeldung.' Der alte Mann bewegte synchron die Lippen dazu. Für einen Moment schien es mir, als wäre der Kopf nicht auf, sondern hinter dem Bildschirm. Ich trat näher, um mir diese 3-D-Animation aus der Nähe anzusehen, da erschien ein Fenster: 'Bite geben Sie Ihren Nahmen und ihr Geburtsdatum ein.' Darunter wurde eine Tastatur eingeblendet.

Ich hasse Tippfehler. Ich fragte mich einmal mehr, warum so viele Programmierer Legastheniker sind, und kam einmal mehr zu dem Schluß, daß die, in Termindruck wahrscheinlich, andere Prior­ itäten setzen.

Ich knurrte also: 'Sehr persönliche Begrüßung!' und tippte auf dem Bildschirm herum.

Ein neues Fenster kam: 'Falsche Eingabe. Bitte versuchen Sie es erneut.' Und dann wieder das alte.

Während ich meinen Namen nach Tippfehlern absuchte, dachte ich:

'1. Doofe Programmierer.

'2. Oh! Ich habe da tatsächlich ein L zuviel. Na, das kann ja jedem mal passieren.

3. Was machen die wohl, wenn ich auch in der Schreibweise nicht in der Datenbank bin?

4. Sollte ich nicht lieber >Fick dich ins Knie< eingeben?' Ich ließ es aber doch sein. Schließlich wollte ich keine 'Allgemeine Schutzverletzung im Modul NCC1701C' provozieren.

Das Fenster verschwand, und der alte Mann, ganz sicher in 3-D, sagte: 'Einen Moment bitte, ihre Daten werden überprüft.' Gleichzeitig rödelte die Platte wie wild. Symbole erschienen und verschwanden, schließlich ging der Bildschirmschoner an: Zwei En­ gel schleppten mit schlagenden Flügelchen ein Schild 'Bitte etwas Geduld' über den Bildschirm.

Als die Platte mit Rödeln fertig war, erschien ein Regenbogen vor hellblauem Hintergrund auf dem Bildschirm. Unter dem Regenbogen kroch in Schwarz ein Schriftzug hervor. Dessen Schriftstil wech­ selte ständig, er war mal verspielt, mal gerade und knochentrock­ en. Manchmal waren die Buchstaben in einer anderen, reinen Farbe umrandet, manchmal nicht. Es hätte eigentlich ziemlich konfus aussehen müssen, machte auf mich jedoch dennoch einen recht har­ monischen Eindruck.

Der Schriftzug lautete: 'Willkommen im Himmel. Sie sind Abteilung 52-13 zugeordnet.'

Ich starrte auf en Bildschirm. Mit einem leisen Pfeifen glitt die linke Tür auf, und frischer Wind und Sonnenlicht drang in den Raum. Außerdem gedämpftes Gejohle und selbstgezupfte Musik.

Das zog mich natürlich an. Ohne weiter nachzudenken, bewegte ich mich um den Schreibtisch mit dem PC darauf herum und trat durch die Tür. Das helle Licht blendete mich, und ich mußte für einen Moment die Augen schließen. Ich spürte aber, daß die Strahlen mich durch und durch wärmten.

Mit demselben leisen Pfeifen glitt die Tür hinter mir wieder zu. Als sie ins Schloß fiel, wußte ich, was mir an der letzten Meldung nicht gefallen hatte: Sie war sehr viel unpersönlicher als die direkte Ansprache von einem 3-D-Petrus.

Die brauchten wirklich einen fähigen Software-Ingenieur hier im Himmel.

6.

Ich atmete durch. Die Luft war kühl und klar, vielleicht ein wenig zu trocken. Die Sonne schien mild und stand genauso tief, wie sich das für den Nachmittag eines Novembertages in mitteleuropäischen Breiten gehört. Es war still, und es wehte kein Wind. Ich fühlte mich wohl.

Jemand hustete.

Ich fuhr herum, denn ich hatte noch niemand gesehen. Die Wolken waren nicht so tischeben wie an der Stelle, wo ich angekommen war, sondern ragten fluffig und hügelig-wolkig in der Gegend herum. Vielleicht konnte man an manchen Stellen sogar bis zur Erde hin­ untersehen.

Ich trat fest auf. Die Wolke, auf der ich stand, machte denselben trittfesten Eindruck wie die an der Stelle, wo mich der Engel mit dem Aeroped angesetzt hatte.

Es hustete wieder jemand. Diesmal brauchte er länger und schloß mit einem schweren Atemzug ab.

Ich konnte die Stelle, von der das Husten kam, nicht genau orten. Es war unglaublich still.

Auf Bergen bläst ja meistens ein Gipfelwind, weil die in die kontinentalen Luftströme hineinragen. Doch dann fiel mir ein, daß so eine Wolke ja eine Art Luftschiff ohne Antrieb ist und sich deshalb genausoschnell wie die umgebende Luft bewegen muß. Über welchem Kontinent wir uns wohl gerade befanden? Und was passierte, wenn sich die Wolken auflösten?

Wie das mit der Biologie und der Chemie war, würde sich herausstellen. Ich stellte fest, daß ich keinen Hunger hatte; da war also mindestens eine Änderung eingetreten. Also atmete ich tief durch und machte mich auf in die Richtung, aus der das Husten kam.

Zwei Wolkenzipfel später hatte ich ihn gefunden. Er lag unrasiert auf der Erde, lehnte mit dem Rücken an der Wolke, um die ich gerade herumgegangen war, und ließ sich die Sonne auf den Pelz brennen. Sein alter Mantel war ein wenig zerfetzt, ebenso die Kordhose. Die Schuhe waren abgetragen, und sein linker Arm krümmte sich, als hielte er noch immer die Rotweinbuddel im Arm.

Ich schluckte und sagte möglichst unbefangen: 'Guten Tag.'

Falls er mich bemerkt hatte, interessierte ich ihn wohl nicht. Er bewegte sich nicht, sagte nichts, sondern fuhr fort, mit fast geschlossenen Augen in die Ferne zu starren.

'Hallo!' sagte ich. Ich kann es nicht leiden, wenn mich jemand ignoriert. Erstaunlicherweise regte er sich immer noch nicht.

Ich hockte mich vor ihn, so daß mein Schatten in sein Gesicht fiel, und sagte so scheißfreundlich ich nur konnte: 'Heda, junger Mann. Können Sie mir vielleicht verraten, wo hier der näcste Zigarettenautomat ist?'

Als er daraufhin tief Luft holte, dachte ich erst, nun käme immerhin eine Reaktion. Anschließend zog ich mich aber schnell wieder zurück, denn nun bekam er einen richtigen Hustenanfall, und ich wollte keinen Tröpfchenschwall abbekommen. Er röchelte, spuckte und würgte, und ich wunderte mich, daß er nicht blau anlief. Als er fertig war, ruckelte er sich wieder an der Wolke zurecht und schien erneut einnicken zu wollen.

'Guter Mann', sagte ich, 'wo kann ich hier Zigaretten bekommen?'

Daß bei dem nachfolgenden Hustenanfall seine Lunge nicht in Bröckchen zum Vorschein kam, wunderte mich. Auch, daß er nicht roch. Er roch nämlich nach überhaupt nichts. Nicht nach abwasser­ feuchten Unterführungen, nicht nach fauligem Laub vom letzten Jahr und nicht nach Fusel.

'Ist schon recht', sagte ich, 'ich an Ihrer Stelle hätte auch aufgehört. Glaube ich.'

Ich erhob mich und wollte gerade jemand Kompetenteres suchen gehen, als er 'Ey' oder so krächzte. Ich stellte mich wieder so hin, daß ich einen Schatten auf ihn warf, und sagte: 'Ja?'

Er schnappte ein paarmal nach Luft und krächzte anschließend mit einer sehr belegten, metallenen Stimme: 'Ey Junge, haste mal ne Mark über?'

Ich verlor die Fassung. Nun wußte ich zwar, daß einige Sitten und Gebräuche von der Erde übernommen worden waren und daß ich mir um Kommunikation keine Sorgen machen mußte. Aber ich hatte keine Mark, und darum erklärte ich dem Penner und den beiden herbeieilenden Spinnern in viel zu dünnen weißen Kitteln lauter als notwendig, daß meine Kohle und meine Zigaretten auf dem Transport hierher leider verlorengegangen seien und ich mich deshalb außerstande sähe, ihm oder mir eine kleine Freude im Gegenwert von ein paar Mark zu gönnen.

'Sie sehen also', sagte ich laut und deutlich, 'ich könnte Ihnen nicht mal helfen, wenn ich wollte. Und Sie ' - dies zu den beiden Kittelträgern, die mit geneigten Köpfen breit grinsend dabeistanden - 'hören umgehend auf zu lachen, oder ich verfolge Sie mit meiner Rache.'

Sie hörten schlagartig auf zu grinsen, guckten sich gegenseitig an und begannen dann, sich lachend auf dem Boden zu wälzen. Auch der Penner verzog sein Gesicht und machte die Augen nun ein bißchen weiter auf. Seine rote Iris zog sich mit leisem Sirren zusammen, als die Sonne hineinfiel. Dann klickte etwas in seinem Kopf, und er rekelte sich wieder an der Wolke zurecht, während die beiden weißbekittelten Blödiane ihre Lachanfälle langsam beendeten und sich gegenseitig prustend, schnaubend und augenwischend auf die Beine halfen.

'Entschuldige den kleinen Scherz', sagte der mit der Brille zu mir. Dann wandte er sich zu seinem Kollegen und sagte kühl: 'Es scheint, diesmal habe ich gewonnen.' Woraufhin sie erneut zu gackern anfingen.

Ich griff mir den mit der Brille, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte laut und deutlich, während ich ihn direkt ansah: 'Was geht hier vor?'

Er kicherte immer noch, während er die Brille abnahm, sie putzte und mich zu dem Penner herüberwinkte. Dann kniete er nieder und faltete das Hosenbein ein wenig hoch, so daß ich die Titanstreben und die Mikrohydraulik sehen konnte. Anschließend stand er wieder auf und trat ungerührt gegen das Schienbein.

Der Penner rührte sich ein wenig, blinzelte, sirrte mit seiner Iris und nickte wieder ein.

'Also', sagte ich, 'wir haben es hier anscheinend mit einem Roboter zu tun, der einen Penner nachmacht. Und so wie Sie ausse­ hen, sind Sie der durchgeknallte Konstrukteur dieses weißgott nicht sehr anspruchsvollen Projektes.'

Natürlich wollte ich ihn verletzen. Ich ärgerte mich nämlich, daß ich das mit dem Roboter nicht früher gemerkt hatte.

Die beiden schluckten und setzten ihren Wissenschaftler-Dackelblick auf, der besagte: Um Gottes willen, daß jemand dermaßen schreckliche Sachen mit meiner Erfindung anstellt, das habe ich mir weder gedacht, noch habe ichs gewollt. Seit den Tagen von Prometheus und Oppenheimer gucken sie so, wenn mal wieder etwas schief gegangen ist, weisen ihre Verantwortung weit von sich und verweisen darauf, daß sie ja gar keine Möglichkeiten hatten. Nobelpreise und Lizenzgebühren heimsen sie allerdings weiterhin ein, allzuviel Gewissen ist bekanntlich schlecht fürs Geschäft.

'Sparen Sie sich Ihren Dackelblick', sagte ich, 'ich hatte schon mit Wissenschaftlern zu tun. Sagen Sie mir lieber, warum Sie so etwas hier basteln und dann herumliegen lassen.'

'Ja wissen Sie', sagte der mit der Brille, ' - aber gestatten Sie, erstmal willkommen im Himmel, und ich bin übrigens Dr. Dr. Heinrich Kleber, also wenn Sie möchten, stelle ich Ihnen unser Projekt kurz vor -'

'Möchte ich nicht', sagte ich kalt, 'ich möchte eine Information und keine Präsentation.'

'Nun fassen Sie Heini doch nicht so hart an', sagte der andere, 'seit dieser Fortbildung zum Verfahrensmanager hat er das und kann halt nicht aus seiner Haut. Wissen Sie was? Wir gehen jetzt dort zum Rand der Wolke hinüber, lassen ein bißchen die Beine baumeln, und ich erklärs Ihnen kurz.'

Auf dem Weg zum Rand der Wolke erfuhr ich, daß die beiden von einem FAQ träumten: Einem automatischen System, das die stereo­ typen Fragen der Neuankömmlinge beantwortete, ohne die übrige Himmelsbesatzung zu nerven. Sie hatten auf ihrem Weg einige herbe Rückschläge hinnehmen müssen: in 11,2 den Neuankömmlingen mit der bloßen Faust zertrümmert worden, und über 75 Befragen von Expertensystemen.'Wir haben die soziokulturellen Umstände zunächst völlig außer Acht gelassen', bekannte Dr. Dietmar Meyer, 'manche Leute haben Angst vor Computern, andere verwechseln sie mit Brotdosen oder Bedürfnisanstalten. Oder die Organtransplantierten - wenn Arm oder Kopf noch nicht nachgewachsen sind, können sie nicht mit der Maus umgehen. Wir hatten mal einen buddhistischen Mönch, der setzte sich auf die Tastatur und meditierte dort zehn Tage lang...' Sie beschlossen dann, das Ein- und Ausgabeterminal grundlegend umzugestalten, und dabei war Ronald herausgekommen. 'Gestehen Sie, sagte Dr. Kleber, 'auch Sie haben sich gleich ein bißchen zu Hause gefühlt.' - 'Ja' , sagte ich, 'ich bin schließlich aus Hannover...'

Sie verzogen die Gesichter. 'Wissen Sie', sagte Dr. Meyer mit leicht gequälter Miene, 'Sie können es noch nicht wissen, aber hier gilt es nicht so viel, wo jemand herkommt, sondern wer er ist. Üblicherweise - verzichtet man hier auf die Angabe des Heimatortes.'

'Sehen Sie', sagte Dr. Dr. Kleber heiter, 'genau dafür bauen wir ja Ronald - und Sie haben uns einen großen Schritt weitergebracht.'

'Aber ich verstehe noch nicht ganz -' sagte ich, 'warum die Angabe des Heimatortes -'

'Einen Moment', sagte Dietmar, 'Ronald wird's Ihnen erklären.' Er zog eine Fernbedienung aus der Innentasche seines Kittels, richtete sie auf Ronald und drückte ab.

Ronald sprang auf, warf seinen Mantel ab, breitete die Arme aus und deklamierte lautstark: 'Warum, warum? Warum ist die Banane krumm? Weil niemand in den Urwald zog und die Bananen gerade bog.' Seine Stimme schepperte etwas, klang aber durchdringend. Von verschiedenen Seiten waren Rufe zu hören: 'Ruhe!' - 'Schluß mit dem Theater!' - 'Verlegt sie doch endlich in die Geschlossene!'

Zunächst dachte ich, Ronalds Äußerung hätte die Himmelsmechanik durcheinandergebracht. Ein dumpfes Brausen, begleitet von einem schrillen Pfeifen, hob an und wuchs stetig an Intensität. Ronald legte sich wieder hin, während die beiden Wissenschaftler stritten, ob sie ihm Läuse programmieren sollten. Ich wurde panisch und versuchte die Schallquelle zu finden. Eine qualvolle Minute lang wuchs der Lärm immer weiter an.

Dann sprang sie mit Mach 2 1/2 aus den Wolken und jagte verdammt nahe vorbei. Der Geräuschpegel erreichte mit einem Schlag galaktische Dimensionen, die Wolken sprangen ein paar Meter zur Seite, machten Platz für viele Kubikmeter heißer Abgase und beruhigten sich nur langsam wieder. Zum Glück wurde mir nicht schlecht. Die schwarzen Abgaswolken wallten und stanken, bevor sie sich ziternd in weißen Staub verwandelten und träge auf die Wolkendecke herabschwebten.

Dietmar und Heinrich stritten sich immer noch, wie sie Ronald reprogrammieren sollten. Also ließ ich sie in Ruhe ziehen und ging nachsehen, ob es eventuell weniger durchgeknallte Personen hier oben gab.

7.

Dort flegeln die Leute auf den Wolken herum. Zunächst fliegt eine Concorde mit SextouristInnen durch ihn hindurch, dann sucht und findet er ein paar Bekannte aus der Geschichte (Goethe nicht), redet ein bißchen mit ihnen über ihre Welteinstellung und warum es ein wenig langweilig ist.

8.

Himmel 2: Einstein, Faust und Hawking (Nov. 96)

9.

Himmel 3: Auf der Suche nach Johann Wolfgang und Wolfgang Amadeus (Nov. 96)

Wolfgang Amadeus hatte soviel auf seinem Plus- und Minus-Konto, daß der PC abstürzte. Merkwürdigerweise verschwand er im selben Augenblick.

Der Rechtsanwalt Schulz erklärt ihm dies & das.

10.

Urlaub in der Hölle (Dez. 96)

Als nächstes will er Urlaub auf der Erde machen und holt sich von Petrus die Erlaubnis.

11.

Hannover 1997 (Jan 97)

Zunächst besucht er Hannover, guckt, was seine Exfreundinnen machen, besichtigt den Unfallort und erkennt an den Verwaltungsangestellten, daß es sich um die Hölle handelt.

12.

Hessen 1997 (Feb 97)

Dann geht er nach Hessen und guckt Kindern beim Spielen am Bach zu.

13.

Franken 1997 (Mrz 97)

Dann kommt er ins SadoMasoLand Franken und erlebt Sezessionsbestrebungen.

14.

Baden 1997 (April 97)

In Baden erkennt er, daß das Betriebssystem der Lebenden mit dem NichtWahrnehmen der Geister nicht immer klarkommt, und den Grund dazu: ein Ingenieur mit Multipler Sklerose.

15.

Thüringen 1997 (Mai 97)

In Thüringen scannt er die rechtsradikale Szene...

16.

Hannover 1997 (Juni 97)

.. und kommt anschließend gerade rechtzeitig zu den Chaostagen in Hannover zurück. Das Sprengel wird in Schutt und Asche gelegt, der Penny aus Versehen gleich mit, und Neuseeland sagt die Teilnahme an der Expo ab.

17.

Wie man sich beschwert 1

Zurück im Himmel, beklagt er sich bei Petrus, daß im Himmel und auf Erden nicht alles gut wäre. Petrus schickt ihn durch die dritte Tür, ...

18.

Wie man sich beschwert 2

wo er nach diversen Affären mit Engeln...

19.

Wie man sich nicht beschwert 3

... schließlich in ein Licht aus Wärme und Güte eingeht, das festhält, daß es nicht für alles verantwortlich ist, was falsch läuft.

Über dieses Dokument ...

Tod eines Motorradfahrers
(wird höchstwahrscheinlich Fragment bleiben)

This document was generated using the LaTeX2HTML translator Version 99.1 release (March 30, 1999)

Copyright © 1993, 1994, 1995, 1996, Nikos Drakos, Computer Based Learning Unit, University of Leeds.
Copyright © 1997, 1998, 1999, Ross Moore, Mathematics Department, Macquarie University, Sydney.

The command line arguments were:
latex2html -no_navigation -show_section_numbers -split 0 -no_parbox_images roman.tex

The translation was initiated by on 2005-10-15



2005-10-15